„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage …“


Pharmaunternehmen sind verpflichtet, alle bekannt gewordenen Nebenwirkungen eines Medikaments im Beipackzettel anzugeben. Wofür sie in der Regel ja nicht haften. Dennoch sind sie immer häufiger mit Schadenersatzforderungen wegen schädlicher Nebenwirkungen konfrontiert.

Selbstredend kommen neue und weiterentwickelte Arzneimittel erst nach umfangreichen Forschungen und klinischen Prüfungen auf den Markt. Doch treten bei zugelassenen Medikamenten, ob gegen ernste Erkrankungen oder leichtere Beschwerden verordnet, nicht selten schwere Nebenwirkungen auf, die zu beträchtlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.

Arzneimittelhersteller sind dann häufig mit ungewöhnlich hohen Ansprüchen auf Schmerzensgeld und Schadenersatz (z.B. für Verdienstausfall) seitens der „Medikamentenanwender“ konfrontiert.

Für den Versicherer des Pharmaunternehmens startet damit ein oft langwieriger Prozess medizinischer Sachverhaltsaufklärung und rechtlicher Bewertung. Den Schaden-Experten von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) stehen hierbei die Gesellschaftsärzte der Allianz Deutschland AG zur Seite, die ihre professionelle Einschätzung aus medizinischer Sicht einbringen. 

Die rechtliche Grundlage für Schadensersatzansprüche aufgrund von Arzneimittelschäden liefert § 84 des Arzneimittelgesetzes (AMG). Danach gelten, sehr vereinfacht gesagt, Ansprüche auf Schadenersatz als durchsetzbar,

  • wenn eine aufgetretene Nebenwirkung des Medikaments nicht bekannt oder für den Patienten nicht zumutbar ist, weil dessen Gesundheit hierdurch über das in der Wissenschaft anerkannte Maß hinaus beeinträchtigt wird oder

  • wenn eine beim Anwender aufgetretene Nebenwirkung im Beipackzettel des Medikaments nicht hinreichend gekennzeichnet  ist.

Umgekehrt lässt sich, ebenfalls vereinfacht, daraus schließen, dass Pharmaunternehmen nicht für Nebenwirkungen haften, die im Beipackzettel explizit benannt bzw. beschrieben werden.

Werden Schadenersatzforderungen als berechtigt anerkannt, liegen die Schadenzahlungen in Deutschland durchaus im sechsstelligen Bereich - vor allem, wenn schwerwiegende körperliche Einschränkungen bis hin zur Berufsunfähigkeit vorliegen. 

In vielen Fällen allerdings erscheinen die Schadenersatzforderungen im Rahmen der deutschen Gesetzgebung und Rechtsprechung sehr hoch; Anspruchssteller tauschen sich vermehrt in Internet-Foren aus, orientieren sich an vermeintlich vergleichbaren Streitfällen in den USA und gehen, oft durch Deckungszusagen ihrer Rechtsschutzversicherung bestärkt, bis in höchste Instanzen, um mutmaßlich gerechtfertigte Ansprüche durchzusetzen.

Dabei wird häufig übersehen, dass eine umfangreiche Beweisführung erforderlich ist, die sich vor Gericht, aber auch in außergerichtlichen Verfahren als große Hürde erweist.

Wer von einem Pharmaunternehmen Schadenersatz wegen schädlicher Nebenwirkungen fordert, muss -je nach Vorwurf- nachweisen,

  • dass die Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit auf eine bis dahin in dieser Form nicht bekannten Nebenwirkung zurückzuführen ist oder dass das bisher bekannte und beschriebene Ausmaß einer solchen Nebenwirkung überschritten wird.

  • dass das Medikament „bestimmungsgemäß“ eingenommen wurde; d.h. der Einnahme zugrunde liegen muss eine fachgerecht diagnostizierte medizinische Indikation, für die speziell dieses Medikament anzuwenden ist.

  • dass die Folgen der betreffenden Nebenwirkung für den Patienten nicht zumutbar sind

  • dass besagte Nebenwirkung in der Packungsbeilage nicht ausreichend gekennzeichnet war und dass, wäre auf die Nebenwirkung deutlich hingewiesen worden, das Medikament tatsächlich nicht eingenommen worden wäre und so die Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgeblieben wären.

Schwierig für den Anspruchssteller wird es außerdem, wenn er die Packungsbeilage nicht gelesen oder wenn er darin aufgeführte, wesentlich schwerwiegendere Nebenwirkungen (als die beanstandete) mit der Einnahme des Medikaments in Kauf genommen hat.

Natürlich sind die Beweisregelungen des AMG noch um einiges umfangreicher als es hier dargestellt werden kann.

Die im Geltungsbereich des deutschen Arzneimittelgesetzes erhobenen Forderungen gegen pharmazeutische Unternehmen nehmen insgesamt zu. Diese durchzusetzen ist wegen der komplexen Darlegungs- und Nachweispflicht hierzulande nicht unbedingt einfach. Einen klärenden Anteil daran hat der Versicherer, der Schadenersatzforderungen im Rahmen der Pharma-Produkthaftpflichtdeckung zu prüfen hat. Neben einer sachgerechten Regulierung von Schadenfällen aufgrund berechtigter Forderungen umfasst seine Aufgabe eben auch die qualifizierte Abwehr unberechtigter Ansprüche.

In diesem komplizierten Haftungsfeld verfügt die Schadenabteilung der AGCS über hohe Erfahrung und Sachkenntnis.

Als global aufgestellter Spezialversicherer bietet die AGCS weltweit Haftpflichtschutz für pharmazeutische Unternehmen, die Medikamente entwickeln, testen und herstellen (lassen). Eine Pharma-Haftpflichtversicherung ist in vielen Ländern, u.a. in Deutschland, gesetzlich vorgeschrieben. In ihrem Kundenbestand führt die AGCS weltweit etwa 100 Pharma-Versicherungsprogramme, in Deutschland sind es derzeit 45.

Dass die Pflichtversicherung sinnvoll ist, zeigt u.a. die Zahl der Ansprüche in diesem Bereich. Allein das Haftpflicht-Schadenteam der AGCS in Deutschland hatte sich im Zeitraum der letzten 10 Jahre mit über 500 Vorgängen zu befassen. Es gilt dabei immer, die unterschiedliche Gesetzgebung und Rechtsprechung in den verschiedenen Ländern zu beachten und in der Regulierungspraxis umzusetzen.

Holger Schmitt
Schadenexperte Haftpflicht, AGCS CEE (Zentral- und Osteuropa)
holger.schmitt@allianz.com
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