Batterieleistung, Cyber, Feuer: Neue Risiken und Schadenszenarien auf dem Weg zur Elektromobilität

Pressemitteilung | 09. Juni 2020 | München 
  • Weltweites Wachstum erwartet: Die Zahl der Elektroautos zu Beginn des nächsten Jahrzehnts könnte auf 100 Millionen weltweit ansteigen, verglichen mit sieben Millionen heute.
  • Die Automobilindustrie und ihre Versicherer müssen neue Herausforderungen und Risiken bewältigen: potenzielle Produktdefekte und Kapazitätsschwächen der Batterien, komplexe und kostspieligere Reparaturen, verändertes Brandverhalten und Cyberrisiken sowie die nachhaltige Beschaffung und Entsorgung von kritischen Komponenten und Rohstoffen.
  • Die zunehmende Komplexität der Lieferketten und der Einsatz neuer Technologien werden einen starken Einfluss auf die Produkthaftpflichtversicherung in der Industrieversicherung haben.

Die Verbreitung von Elektroautos wird allen Voraussagen nach rapide zunehmen, angetrieben von der Verbrauchernachfrage und der Politik von Regierungen zur Bekämpfung des Klimawandels. Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch, aber in der Übergangsphase werden sich die Risiken für Hersteller, Zulieferer und Versicherer grundlegend verändern. Außerdem wird mit erheblichen Auswirkungen auf die Produkthaftpflichtversicherung in der Automobilbranche zu rechnen sein. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie des Industrieversicherers Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS).

„Von den Lieferketten über die Produktionsprozesse bis hin zum Produkt selbst: die Automobilindustrie wird auf viele neue Risiken reagieren müssen, um den Weg für Elektrofahrzeuge frei zu machen“, sagt Daphne Ricken, Senior Underwriter Liability bei AGCS. Der steigende Anteil von Elektroautos bringe eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Dazu zählten laut Ricken potenzielle Produktmängel und mangelnde Batteriereichweite, teurere Reparaturkosten und neue Brand- und Cybergefahren; zudem könnte sich die nachhaltige Beschaffung und Entsorgung von kritischer Komponenten und Rohstoffen für Batterien zu reputationsrelevanten Thema entwickeln.“

Eine neue AGCS-Publikation „The Electric Vehicles R-ev-evolution: Future Risk And Insurance Implications“ beschäftigt sich aus der Sicht eines Industrieversicherer mit dem Wachstum der Elektomobilität. Viele Prognosen bestätigen, dass die Nutzung von Elektroautos in den kommenden Jahren sprunghaft ansteigen wird, da die Kosten allmählich sinken, sich die Auswahl an verfügbaren neuen Modellen fast verdoppelt, ihre Reichweite zunimmt und sowohl Verbraucher als auch Regierungen umweltfreundlichere, emissionsarme Fahrzeuge fordern. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass im Jahr 2030 mehr als 100 Millionen Elektroautos auf den Straßen unterwegs sein werden – gegenüber etwa sieben Millionen heute. Der Jahresabsatz könnte auf bis zu von 20 Millionen Euro steigen, angetrieben durch das Wachstum in China (bereits heute der größte Markt der Welt), der Europäischen Union (zweitgrößter Markt), Japan, Kanada, den USA und Indien. 

Zwar könnte die Coronavirus-Pandemie die Aussichten für den weltweiten Verkauf von Elektroautos in diesem Jahr dämpfen. Gleichwohl wird das erwartete langfristige Wachstum anhalten und eine Reihe von technischen und betrieblichen Risiken mit sich bringen wie auch Herausforderungen für die Produkthaftung.

Vom Allianz Zentrum für Technik Automotive (AZT Automotive) durchgeführte Crash-Tests haben gezeigt, dass die Hochspannungskomponenten von Elektroautos gut geschützt sind und bei den meisten Unfällen nicht beeinträchtigt werden. Die statistische Auswertung von Allianz Kfz-Schadenfällen zeigt, dass Elektrofahrzeuge bislang seltener in Unfälle verwickelt sind. Sie fahren typischerweise kurze Strecken mit insgesamt geringerer Kilometerleistung. Wenn allerdings Schäden entstehen, sind diese im Durchschnitt teurer als bei konventionellen Autos.

„Wenn die Batterie in einem Elektroauto ersetzt werden muss, kann dies in vielen Fällen einen Totalschaden bedeuten. Außerdem können die Reparaturen meist nur in spezialisierten Werkstätten ausgeführt werden und sind damit teurer“, erklärt Carsten Reinkemeyer, Leiter Fahrzeugtechnik und Sicherheitsforschung im AZT Automotive. Batterielebensdauer und -leistung sind kritische Erfolgsfaktoren für Elektroautos. Werden die Leistungsgarantien nicht erfüllt, stellt sich die Frage nach der Haftung von Herstellern und Zulieferern für die hohen anfallenden Kosten für die Reparatur oder den Austausch von Batterieeinheiten. 

Wie bei konventionellen Fahrzeugen können defekte elektrische Komponenten und Kurzschlüsse einen Brand auslösen. Zudem können Lithium-Ionen-Batterien bei Beschädigung, Überladung oder hohen Temperaturen in Flammen aufgehen. Brände von Hochspannungsbatterien können sehr stark und schwer zu löschen sein und auch hohe Mengen an giftigen Gasen freisetzen – es kann 24 Stunden oder länger dauern, bis solche Brände unter Kontrolle sind. Bisher sind Brände von Autobatterien relativ selten, weshalb Einsatz- und Rettungsdienste nur begrenzte Erfahrungen vorweisen können.
Obwohl Elektroautos als grüne Vorzeigefahrzeuge gelten, können Umweltprobleme ein potenzielles Haftungs- und Reputationsrisiko für Fahrzeughersteller und Zulieferer darstellen. Eine rasche Verbreitung von Elektroautos würde den Bedarf an knappen Materialien und Rohstoffen wie beispielsweise Kobalt und Lithium steigern – die Lithiumförderung könnte sich Prognosen zufolge bis 2025 verdreifachen. Ein effektives Recycling und die Wiederverwendung von Rohstoffen werden daher von entscheidender Bedeutung sein. Zudem werden die Hersteller daran gemessen werden, wie umweltschonend und sozialverträglich sie die knappen Rohstoffe beschaffen; auch die Rückverfolgbarkeit und Transparenz der Lieferketten wird stärker in den Vordergrund rücken. Nicht zuletzt die Hochspannungsbatterien selbst könnten Umweltverschmutzung verursachen, wenn sie nicht ordnungsgemäß entsorgt werden.
Die Hersteller stehen unter Druck, den Übergang zur Elektromobilität zu beschleunigen. Die Kombination aus neuer Technologie, kurzen Entwicklungszyklen und der Verbreitung des neuen 3D/4D-Druck in der Produktion könnte zu einer Zunahme von Produktdefekten und Qualitätsproblemen führen und Produktrückrufe in der Automobilindustrie auslösen – die laut AGCS-Schadenanalyse im Branchenvergleich ohnehin zu den größten und komplexesten Rückrufen zählen.
In Elektroautos werden verstärkt Connectivity-Systeme, Sensoren und Software, einschließlich künstlicher Intelligenz, zum Einsatz kommen. Wie bei auch bei modernen konventionellen Fahrzeugen gehen mehr Vernetzung und Digitalisierung einher mit höheren Cyber-Schwachstellen, die böswillige Angriffe, Systemausfälle, Bugs und Störungen ermöglichen. Es gab bereits erste Produktrückrufe im Automobilsektor aus Gründer der Cybersicherheit.

Die Elektromobilität wird viele Auswirkungen auf Versicherungslösungen – insbesondere die Produkthaftpflicht – und Schadenszenarien haben, da die Technologie neue Risiken schafft und sich die Haftung innerhalb der Lieferkette verschiebt. Die zunehmende Komplexität der Automobil-Lieferkette und die Abhängigkeit von Software- und Technologieherstellern könnte zu neuen Risiken und geteilten Haftungen in der automobilen Wertschöpfungskette führen.

AGCS Expertin Ricken erklärt: „Elektrofahrzeuge werden aus weniger, aber stärker integrierten Teilen und Komponenten bestehen. Was in einem konventionellen Auto drei Teile sind, kann in einem Elektroauto nur noch ein einziges Bauteil sein. Die geringere Anzahl der Bauteile wird jedoch zunehmend durch Sensorik und Software vernetzt. Das fügt eine neue Ebene der Komplexität hinzu und wirft Fragen auf, wie diese Teile zusammenwirken und welcher Hersteller oder Lieferant für einen potenziellen Defekt oder eine Fehlsteuerung haften müsste.“

Die mit Hochspannungsbatterien verbundenen Brand- und Explosionsrisiken könnten zu Ansprüchen für Sachversicherer führen, insbesondere wenn mehrere Autos in Tiefgaragen aufgeladen werden. Die Schadensszenarien durch Feuer sind vielfältig – sie reichen von überhitzten Batterieleitungen bis hin zu Pannen, die infolge eines elektronischen Versagens des Batteriemanagementsystems.

Die Versicherer können auch mit einem potenziellen Anstieg von Produktrückrufen und Haftungsansprüchen aufgrund neuer Technologien, integrierter Bauteile, schnellerer Entwicklungszeiten und kürzerer Testzeiten rechnen. Auch als Arbeitgeber könnten Unternehmen mit potenziellen Haftungsrisiken für konfrontiert werden, wenn sie Mitarbeiter nicht angemessen schützen – beispielsweise durch giftige Dämpfe und Brandgefahren beim 3D-Druck oder Feuer- und Kontaminationsgefahren im Umgang mit Lithiumbatterien.

Die Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) ist ein weltweit führender Anbieter von Industrieversicherungen und eine wichtige Geschäftseinheit der Allianz Gruppe. Wir bieten – über zehn speziellen Versicherungssparten – RisikoberatungSchaden- und Unfallversicherung und alternativen Risikotransfer für ein breites Spektrum von Firmen-, Industrie und Spezialrisiken.

Unsere Kunden sind so vielfältig wie die Wirtschaft. Sie reichen von den 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt über kleine Firmen bis hin zu Privatpersonen. Darunter sind führende Konsumgütermarken, Technologieunternehmen und die globale Luft- und Schifffahrtsindustrie ebenso wie Weinkellereien, Satellitenbetreiber oder Hollywood-Filmproduktionen. In einem dynamischen, multinationalen Geschäftsumfeld suchen sie bei der AGCS nach intelligenten Antworten für ihre größten und komplexesten Risiken und vertrauen auf unsere hervorragende Leistung im Schadensfall.

Weltweit beschäftigt die AGCS 4.300 Mitarbeiter an eigenen Standorten in 32 Ländern und ist über das Netzwerk der Allianz Gruppe oder von Partnern in über 200 Ländern und Gebieten vor Ort. Als eine der größten Schaden- und Unfallversicherungseinheiten der Allianz Gruppe verfügen wir über starke und stabile Finanzratings. Im Jahr 2019 erwirtschaftete die AGCS weltweit Bruttoprämien in Höhe von insgesamt 9,1 Milliarden Euro.

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