Eines Tages wird es möglich sein, ein unbemanntes Flugtaxi mit Elektroantrieb für das Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsplatz zu verwenden. Das ist schnell, kostengünstig, autofrei und kann zudem noch mit einer virtuell klimaneutralen CO2-Bilanz aufwarten. Aber so weit sind wir noch nicht. Verbesserungen der Infrastruktur, aufsichtsrechtliche Entscheidungen, Sicherheitsthemen – und die Frage, wie die Haftung an Versicherungen abgetreten wird – sind zu klären, bevor die Technologie startet.
  • Die senkrecht startenden und landenden „Flugtaxis“, die der Öffentlichkeit für städtische Mobilitätsdienste in der Luft zur Verfügung stehen sollen, werden Elektro- oder Hybrid-Elektro-Antrieb verwenden.
  • Bevor sie jedoch Realität werden, müssen noch zahlreiche Herausforderungen überwunden und z. B. Verbesserungen bei Infrastruktur, Systemsicherheit, Vorschriften/Zertifizierungen und Versicherungs- bzw. Risikomanagementkonzepten umgesetzt werden.
  • Die bestehenden Vorschriften für unbemannter Passagierfahrzeuge sind für die schnelle Entwicklung in den nächsten fünf Jahre nicht ausreichend.
  • Mit neuen Modellen entstehen neue Versicherungsrisiken. Die Erhebung hinreichender Daten ist deshalb für die versicherungsmathematische Analyse von entscheidender Bedeutung.
In naher Zukunft wird ein Pendler in Seoul, São Paulo oder San Francisco in ein Taxi auf dem Dach eines nahegelegenen Parkhauses einsteigen, um zur Arbeit zu gelangen. Dabei wird es sich um ein Flugtaxi mit null Emissionen, elektrischem Senkrechtstart und entsprechender Landung (electric vertical take-off and landing, eVTOL) handeln – und der Pendler wird nur einen Bruchteil der üblichen Fahrtzeit zum Büro benötigen.
Soweit sind wir zwar noch nicht, aber schon im kommenden Jahrzehnt wird es vermutlich soweit sein. Städtische Luftverkehrsmobilität (Urban air mobility, UAM) verspricht etliche Vorteile – Entlastung des Straßenverkehrs, Verbesserung der Mobilität, Verkürzung der Pendelzeiten, Verringerung der Luftverschmutzung und Unfallhäufigkeit. Sie bringt gleichzeitig aber auch zahlreiche Herausforderungen – neue Infrastruktur für den Betrieb von Fahrzeugflotten, Regelungen zur Kodifizierung und Zertifizierung ihrer Nutzung, Hersteller, die in der Lage sind, hinreichende Mengen herzustellen, um mit der Nachfrage mitzuhalten, sowie Versicherungslösungen, die für die Sicherheit der Reisenden und die Haftungsreduzierung zugunsten der Betreiber sorgen.

Der chinesische Hersteller Ehang produzierte 2016 in las Vegas die erste unbemannte Passagier-Drohne mit Elektroantrieb, die Ehang 184, und führte bereits einige erfolgreiche Testflüge durch.  Gleichzeitig erstellte Uber mit Uber Elevate  eine Plattform für Mitflugmöglichkeiten und Frachtzustellungzur Unterstützung des Infrastrukturausbaus. Damit will das Unternehmen Flugdemonstrationen vorbereiten, die spätestens ab 2020 in ausgewählten Großstädten der USA stattfinden sollen. Die vollständige Funktionsbereitschaft ist für 2023 anvisiert. Das Unternehmen ist derzeit auf der Suche nach einer geeigneten Großstadt, um ähnliche Testläufe entweder in Japan, Indien, Australien, Brasilien oder Frankreich1 zu absolvieren (der Sieger wird im Laufe des Jahres verkündet).

Gemäß dem World eVTOL Aircraft Directory2 der Vertical Flight Society (VFS) existieren derzeit über 130 Unternehmen, die UAM-Prototypen erstellen und testen. Diese Unternehmen haben Investitionen von über 1 Mrd. USD auf einem Markt angeworben, der mit 500 Mrd. bis 2 Bio. USD bewertet wird. Zu den Anlegern gehören auch einige der weltgrößten Flugzeughersteller (Airbus, Bell, Boeing, Embraer), Fahrzeugbauer (Audi, Honda, Rolls Royce, Toyota) und Technologieführer/-investoren (Google, Intel, Uber). Das Potenzial beläuft sich auf über 100.000 gewerbliche bemannte wie unbemannte Elektrofluggeräte, die den UAM-Markt überschwemmen sollen, sobald ein integriertes Infrastrukturssystem vorhanden ist3.

Bei Berücksichtigung der betrieblichen Beschränkungen und Hemmnisse können jedoch nach Einschätzung der US National Aeronautical and Space Administration (NASA)4 lediglich 0,5 % (zwischen 2,5 Mrd. und 10 Mrd. USD) des potenzialen Kapitals in der nächsten Zeit realisiert werden.  Vollständig nutzbar sind eVTOL-Investitionen erst auf lange Sicht.

Bevor eine solche Technologie akzeptiert wird, sind jedoch erhebliche Herausforderungen zu bewältigen, hauptsächlich in den vier Bereichen: Infrastruktur, Fahrzeugbestand, rechtlicher Rahmen und Sicherheit.

INFRASTRUKTUR

Vielleicht besteht die größte Aufgabe für die UAM-Integration in der unterstützenden Infrastruktur am Boden6. Flughäfen sind aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht die Lösung (siehe Kasten). Deshalb sind spezielle Landebereiche, Ladestationen und Zugangspunkte für Kunden erforderlich. Das deutsche Start-up-Unternehmen Volocopter7 plant ein Netzwerk von sog. „Voloports“ auf Dächern, die eine Kapazität von ungefähr 10.000 UAM-Passagieren täglich haben.

Die Kontrolle des Luftraums spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Ein Flugsicherungssystem, das Flugtaxis und traditionellen Verkehr überwacht, kann bisher nicht realisiert werden. Eine sichere Integration von bemannten und unbemannten Verkehrsmitteln erfolgt am besten mithilfe von autonomen Systemen für das unbemannte Verkehrsmanagement (Unmanned Traffic Management, UTM).

„Flugoperationen ‚ohne direkte Sichtverbindung, werden erst dann zunehmen und überhaupt möglich sein, wenn autonome, vollständig betriebsbereite UTM-Systeme zur Verfügung stehen“, erläutert Tom Chamberlain, Underwriting Manager, Aerospace and General Aviation, von der AGCS London. Nach erfolgter kompletter Integration wird die Cybersicherheit des gesamten Betriebs Priorität haben.

„Redundante vitale Komponenten, eine funktionierende sog. ‚sense-and-avoid‘ Technologie (Technologie, die in der Lage ist, andere Flugsysteme zu erkennen und ihnen auszuweichen) und eindeutige Vorfahrtsregeln für den Luftverkehr sind außerdem vonnöten und machen eVTOLS sicherer“, ergänzt Thomas Kriesmann, Senior Underwriter, General Aviation, AGCS Zentral-und Osteuropa.

Aber zuallererst muss es Fahrzeuge geben, die die Nachfrage decken.

FAHRZEUGBESTAND

Obwohl etliche Unternehmen bereits in verschiedene Konzepte und manche auch schon in Flugtests investieren, stellt der fehlende Bestand ein großes Problem dar. „Vor Erreichen der Betriebsfähigkeit sind jahrelange Fahrzeugtests und -entwicklungen erforderlich. Von funktionsfähigen Services ist man zumindest in den USA noch Jahre entfernt“, erläutert James Van Meter, Regional Head of Aviation Programs & Product Development, AGCS Nordamerika.

Eine Einschränkung stellt die Batterieleistung dar, denn ein Energieverlust bedeutet ein Sicherheitsrisiko. Das derzeit notwendige Wiederaufladen nach jedem Flug sollte künftig erst nach etwa fünf Transporten erforderlich sind, damit die volle operative Funktionalität erreicht werden kann. Wenn die Batterien im Laufe des Flugs an Energie verlieren, tritt eine Leistungsverschlechterung ein, während sich bei konventionellen Flugzeugen die Effizienz erhöht, da mit dem Verbrennen des Treibstoffs Gewicht abgebaut wird.

Tausende von eVTOLs müssen bereitstehen, wenn die UAM-Services einmal ihren Betrieb aufnehmen. Man geht bis 2035 von 23.000 Stück und einem Passagiergeschäft im Wert von 32 Mrd. USD aus. Momentan stellt keines der Unternehmen mehr als 700 Fahrzeuge pro Jahr her. Massenproduktion wird daher erhebliche Investitionen erforderlich machen.8

RECHTLICHER RAHMEN

Aufsichtsbehördliche Genehmigungen und Zertifizierungstests für UAMs müssen ebenfalls ausgearbeitet werden, was sich vor allem in den USA, zu einem geringeren Maß aber auch in Europa, als schwierig erweisen wird. Demgegenüber sind die Märkte in Asien und dem Nahen Osten eher vorbereitet. Nur Dubai und Singapur entwickeln  Flugtaxisysteme, die innerhalb der nächsten Jahre an den Start gehen sollen, obschon unbemannte Frachtflüge im Volltest-Modus bereits jetzt in 64 Stadtgebieten weltweit durchgeführt werden 9.

„Bestehende Regelungen sind der schnellen Entwicklung und Einführung unbemannter Passagierfahrzeuge innerhalb der nächsten fünf Jahre oder mehr nicht förderlich“, erklärt Ryan Wallace, Assistant Professor, Department of Aeronautical Science, College of Aviation, an der Embry-Riddle Aeronautical University. Die Bundesluftfahrtbehörde der USA (Federal Aviation Administration, FAA) schreckt vor der Einbeziehung der UAM-Technologie im nationalen Luftraum zurück. Diese Haltung wird sich vermutlich noch verschärfen, wenn mehr Beinahe-Unfälle mit kleinen unbemannten Flugkörpern gemeldet werden (siehe Kasten).

Die weniger konservative Europäische Agentur für Flugsicherheit (European Aviation Savety Agency, EASA) hat im Oktober 2018 einen Vorschlag für Lufttüchtigkeitsstandards herausgegeben, um anfängliche Hürden aus dem Weg zu räumen und einen sicheren Betrieb pilotengesteuerter Flugtaxis und eVTOL-Fluggeräte in Europa10 möglich zu machen. Regelungen für unbemannte Fluggeräte wurden bisher noch nicht kodifiziert.

Da die UAM-Technologie zur Entwicklung neuer Antriebssysteme und Fahrzeuge beiträgt, die weder zertifiziert sind noch irgendwelchen Regelungen11 unterliegen, müssen zwangsläufig einheitliche Testanforderungen festgelegt werden.

SICHERHEIT

Der Übergang zur unbemannten Personenbeförderung erfordert das Vertrauen der Öffentlichkeit. Ein tödlicher Unfall im Frühstadium der Entwicklung würde das Vertrauen, die Investitionsbereitschaft und die Begeisterung für die neue Technik zerstören. Damit sich diese Technologie durchsetzen kann, braucht es ein nachweislich sicheres, umfangreich getestetes und zertifiziertes Fluggerät.

Nach einer YouGov-Befragung hat nur ein Viertel aller erwachsenen US-Amerikaner von unbemannten Passagierdrohnen gehört und 54 Prozent gaben an, sie würden sich darin nicht sicher fühlen. Nur fünf Prozent hatten diesbezüglich wenig Bedenken und wären bereit einzusteigen.12

„Die Menschen nutzen bei den meisten Shuttles an Airportterminals bereits unbemannte Fahrzeuge und bei kommerziellen Flügen kommt routinemäßig der Autopilot zum Einsatz, ohne dass die Sicherheit ein Thema ist“, bemerkt Chamberlain. Letztendlich werden autonome Fahrzeuge sicherer sein als traditionelles Fluggerät.

Wenn kein Pilot an Bord ist, muss ein neues automatisches Kommunikations- und Leitsystem entwickelt werden, das dieselben Aufgaben erledigt wie ein bemanntes und dabei schnell auf die Anweisungen des Flugsicherungssystems reagieren, um verkehrs-, wetter- oder anderweitig bedingte Gefahren zu vermeiden. Es bedarf solider Sicherheitsmaßnahmen, damit diese Transportlösung für Reisende und Investoren gleichermaßen attraktiv wird.

Bei Unfällen verlagern sich Haftungsfragen von den Piloten auf die Entwickler, Hersteller oder Betreiber. „Angesichts des aktuellen prozessfreudigen Umfelds bezweifele ich, dass es viele Unternehmen gibt, die ein Produkt ohne maßgebliche Funktionsprüfung auf den Markt bringen“, meint Wallace. Hier kommt die Versicherung ins Spiel.

1. Mexico City, Mexico                     

2. Bangkok, Thailand

3. Jakarta, Indonesia

4. Chongqing, China

5. Bucharest, Romania

6. Istanbul, Turkey

7. Chengdu, China

8. Rio de Janeiro, Brazil

9. Tainan, Taiwan

10. Beijing, China

Wie bei jedem neuen Produkt müssen potenzielle Risiken von den Versicherern bewertet werden, aber abgesehen von kleineren UAS-Schäden liegen bislang noch keine geeigneten historischen Daten vor  „In Bezug auf das Risiko ist es wichtig, hinreichende Daten zu generieren und sie allen Beteiligten zur Verfügung zu stellen“, erklärt Kriesmann.

Sobald die Behörden die Technologie freigegeben haben, kann die Öffentlichkeit sie nutzen und die Versicherer werden sich verstärkt um entsprechende Lösungen bemühen. Deckung von Sach- und Personenschäden werden mit der bereits existierenden Luftfahrtversicherung vergleichbar sein, während die Haftungsszenarien davon abweichen.

„Ich glaube, dieser Prozess wird sich drastisch von der Strategie unterscheiden, die die Versicherungsbranche bei kleineren, unbemannten Flugzeugsystemen (UAS) eingeschlagen hat“, bemerkt Wallace, „da der Umfang der möglicherweise zugefügten Schäden oder Verletzungen relativ geringfügig ist. Wenn jedoch Menschen an Bord sind, erhöht sich eine eventuelle Haftpflicht erheblich.“

„Die Luftfahrtversicherung wird sich weiterentwickeln und die Branche Versicherungsprodukte entwickeln, mit denen sie Risiken durchschaut, begrenzt und steuert und ein denkbar sicheres Umfeld für die weitere Verbreitung von UAMS schafft, wenn sich der Markt erst einmal formiert“, versichert Van Meter.

Zu schweren Störungen kam es am zweitgrößten Flughafen Londons, in Gatwick, als privat genutzte „Drohnen“ drei Tage im Dezember 2018 über dem Flughafen zu sehen waren13. Es kam zu 1000 Flugstornierungen oder Umleitungen, von denen 140.000 Passagiere betroffen waren.

„Störungen des Luftraums nehmen zu, da immer mehr Drohnen und Piloten auf den Markt drängen“, erläutert Chamberlain. Die Störfälle in Gatwick haben die Luftfahrtunternehmen genau verfolgt. Gleichzeitig müssen Drohnenbesitzer in Großbritannien seit Anfang 2019 ihre Fahrzeuge mit einem Gewicht von mehr als 250 Gramm registrieren lassen – in ähnlicher Weise wie es seit einiger Zeit in Australien und Deutschland üblich ist.

„Wir fordern außerdem die Behörden auf, in Erwägung zu ziehen, Piloten der Versicherungspflicht zu unterziehen, ebenso wie die Autofahrer. Letztendlich sind die Risiken ja vergleichbar", betont Chamberlain.

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SOURCES

1. TomTom Traffic Index, Measuring Congestion Worldwide: Full Ranking, 2017

2. Uber Elevate, Pressemitteilung vom 30. August 2018

3. Vertical Flight Society, eVTOL Aircraft Map (Unternehmen und Testflüge), http://evtol.news/evtol-aircraft-map/

4. Vertical Flight Society (VFS), Pressemitteilung, November 2018

5. National Aeronautical and Space Administration (NASA), Executive briefing: UAM Marktanalyse, 5. Oktober 2018

6. Washington Post, This company says its air taxis could be flying people across major cities by the ‘mid-2020s’, 10. Januar 2019

7. The Verge, Volocopter envisions ‘air taxi’ stations that can handle 10,000 passengers a day, 17. April 2018

8. Porsche Consulting, The future of vertical mobility: Sizing the market for passenger, inspection and goods services until 2035, 2018

9. Unmanned Airspace, Urban air mobility takes off in 64 towns and cities worldwide, 10. Dezember 2018

10. EASA, Pressemeldung vom 15. Oktober 2018

11. Inside Unmanned Systems, Urban Air Mobility: Catching a very local flight, 20. April 2018

12. CNBC, Would you feel safe riding a passenger drone? According to research, most Americans wouldn’t, 10. Juli 2017

13. BBC, Gatwick Airport: Drones ground flights, 20. Dezember 2018