Sechs Trends in der Luftfahrtversicherung, die man im Auge behalten sollte

Obwohl die globale Luftfahrtindustrie sich gerade über einige ihrer sichersten Jahre freut, gibt es keinerlei Anzeichen für einen Rückgang bei der Anzahl der Schäden. Menschliches Versagen, steigende Reparaturkosten durch Verbundwerkstoffe und höherwertige Flugzeuge, eine Zunahme bei den Unfällen am Boden aufgrund zunehmend überlasteter Flughäfen sowie der verstärkte Einsatz von Automatisierungen sind nur einige der Hauptfaktoren, die sich auf die Schadenaktivität auswirken.

Mit zuverlässigeren Triebwerken und technischen Lösungen sowie aufgrund erheblicher Verbesserungen beim Risikomanagement der Fluggesellschaften sind schwere Unfälle wesentlich seltener geworden. Laut International Air Transport Association (IATA)1 kam 2017 auf 8,7 Mio. Flüge nur ein größerer Unfall – mehr als 4 Mrd. Passagiere konnten ihre insgesamt 41,8 Mio. Flugreisen ohne ernsthafte Zwischenfälle absolvieren.

„Zum ersten Mal seit mehr als 100 Jahren in der Geschichte der Luftfahrt kam es 2017 zu keinerlei Todesfällen bei gewerblichen Fluglinien, in jeder Hinsicht ein bemerkenswerter Fortschritt“, meint Kevin Smith, Global Head of Aviation Claims bei der AGCS. „Es handelt sich dabei keineswegs um einen Ausreißer. Fliegen ist wesentlich weniger gefährlich als in der Vergangenheit. Ein solcher Meilenstein der Sicherheit ist das Ergebnis erheblicher Anstrengungen seitens der Hersteller von Flugzeugen und Triebwerken.“

Bei über einer Mio. Menschen, die sich jederzeit in der Luft befinden, kann man sich angesichts dieser beeindruckenden Zahlen durchaus beglückwünschen. 2018 kam es jedoch durchaus zu einer Reihe tödlicher Flugzeugunfälle, wobei der schlimmste dabei der Absturz einer Lion Air Boeing 737 vor Indonesien im Oktober 2018 war. Die Maschine sank bereits kurz nach dem Start ins Meer und 189 Personen verloren so ihr Leben. An dieses Unglück schloss sich der Absturz der Boeing 737 der kubanischen Fluggesellschaft Cubana de Aviación im Mai an, der ebenfalls unmittelbar nach dem Start erfolgte und bis auf einen alle 113 Passagiere sowie die Besatzung das Leben kostete. Darüber hinaus waren 2018 auch etliche Total-Kaskoschäden zu beklagen, bei denen aber sämtliche Passagiere überlebten. So musste man eine Boeing 737 der Pegasus Airlines abschreiben, nachdem sie im Januar über das Rollfeld des Flughafens Trabzon in der Türkei hinausgeschossen war, während eine Maschine gleichen Typs der Xiamen Airlines nach einer Bruchlandung aufgrund schlechten Wetters im August zum Totalschaden erklärt wurde. Insgesamt kam es 2018 zu 15 verhängnisvollen Flugzeugunglücken, die für 556 Todesfälle2 verantwortlich waren, was aber dennoch bedeutete, dass es laut dem Aviation Safety Network das drittsicherste Jahr nach der Zahl der Unfälle mit Todesfolge und das neuntsicherste gemessen an der Zahl der Todesfälle war.

Technologische Fortschritte und optimierte Qualitätskontrolle bei der Flugzeugproduktion und -wartung haben die Zahl der Unfälle durch mechanisches und bauliches Versagen erheblich verringert. Infolgedessen spielt menschliches Versagen als Schadenauslöser eine größere Rolle als früher.

„Ein Pilotenfehler ist bei zahlreichen Flugunfällen einer der Hauptfaktoren“, erläutert Smith. „Es wird davon ausgegangen, dass sogar 95% der Unglücke in irgendeiner Weise auf menschliches Versagen zurückgehen. Flugzeuge sind heutzutage sehr sicher, aber die meisten Unfälle beruhen auf Fehleinschätzungen, z. B. Start trotz schlechten Wetters oder unangemessene Reaktion des Piloten auf widrige Umstände.“

Während verhängnisvolle Flugzeugunglücke mittlerweile weit weniger häufig vorkommen, haben die Kosten durch Luftfahrtschäden allgemein leicht zugenommen. Grund dafür sind Faktoren wie gestiegene Reparaturkosten und Werte der gefährdeten Maschinen bei nach wie vor verhältnismäßig geringen Selbstbehalten der Luftfahrgesellschaften in einem inzwischen höchst umkämpften Luftfahrtversicherungsmarkt. Der durchschnittliche Selbstbehalt von aktuell 1 Mio. USD ist ungefähr genauso hoch wie bereits 1982, und das, obschon die Werte der Flugzeuge sich verdreifacht haben, betont Smith.

Trotz nur einiger weniger schwerwiegender Schäden und der Vermeidung von Todesfällen im Jahr 2017 arbeitete der Luftversicherungsmarkt gerade noch kostendeckend – was auch die Marktbedingungen und die Schadenquote für Kleinschäden widerspiegelt. 2018 hingegen war das sechste Jahr in Folge, in dem die Luftfahrtschäden laut dem Maklerunternehmen JLT3 die Prämieneinnahmen überstiegen.

Die Schadenhäufigkeit ist gestiegen, aber das ist nur ein Faktor. „Die Schadenhöhe hat ebenfalls zugenommen, wobei die Selbstbehalte mit der technologischen Entwicklung und den Werten nicht Schritt gehalten haben." Ein Schaden von 5 Mio. USD heutzutage hätte sich vor fünf Jahren vermutlich noch auf nur 1 Mio. USD belaufen und wäre unter den Selbstbehalt gefallen.

Die Verwendung von Kompositmaterialien bei der Flugzeugfabrikation kam vor ca. 10 Jahren erst richtig in Schwung. Mittlerweile setzt die Mehrheit der gewerblichen Flugzeugflotten weltweit auf solche Werkstoffe. Verbundstoffe, wie z. B. Karbonfaserschichten, die mit Harz verbunden werden, sind robust und gleichzeitig leicht, verringern also das Gewicht und erhöhen die Treibstoffeffizienz. Solche Materialien werden jetzt bei modernen Maschinen umfassend genutzt. Ungefähr 50 % des Gewichts der Boeings 787 Dreamliner4 besteht aus Verbundmaterial.

„Verbundmaterial hat etliche Vorteile, ist aber möglicherweise schwieriger und teurer zu reparieren“, erläutert Smith. „Die Flugzeughersteller haben u. U. die Reparaturpraxis nicht berücksichtigt, als sie diese Stoffe vor ca. 10 Jahren entwickelt haben.“

Die Erfahrung mit Schäden hat allerdings gezeigt, dass Kompositmaterialien höhere Reparaturkosten verursachen, weil sie generell kostspieliger herzustellen sowie arbeitsintensiver und platzaufwendiger in der Reparatur sind, als herkömmliche Metalllegierungen.

„Zum jetzigen Zeitpunkt können wir auf eine ca. 7-jährige Schadenerfahrung mit Verbundmaterial zurückblicken und feststellen, dass Flugzeuge aus diesen Werkstoffen definitiv einen höheren Kostenaufwand bei der Reparatur erfordern“, so Smith. So lassen sich die Reparaturkosten aufgrund eines Brandschadens unter dem vorderen Fahrwerk einer Boeing 787 auf 13 Mio. USD beziffern. Derselbe Schaden an einer früheren Flugzeuggeneration mit einer Metalllegierung wäre mit einem Aufwand von ungefähr 3 bis 4 Mio. USD behoben worden.

Die heutigen sichereren und zuverlässigeren Triebwerke sind auch teurer zu reparieren bzw. zu ersetzen. Triebwerke der Spitzenklasse, wie sie für den Airbus A350 benutzt werden, können ohne Weiteres über 40 Mio. USD pro Stück kosten, was nur geringfügig unter dem Preis einer kompletten 737 vor zehn Jahren liegt. Das Streben nach Treibstoffeffizienz führt auch zu leichteren Triebwerken, die größere Distanzen zurücklegen können. Allerdings haben technische Fortschritte, wie die Verwendung neuartiger Materialien und dünnerer, leichterer Turbinenschaufeln die Toleranzen beim Einsatz der Triebwerkskomponenten verringert. Gleichzeitig stiegen aber auch die Preise für Ersatzteile.

Kollisionen, Abstürze und vergleichbare Flugzeugunglücke sind die häufigste Ursache versicherter Schäden weltweit – nach Feuer und Explosionen. Das ergab eine Untersuchung der AGCS von über 470.000 Versicherungsschäden im Laufe der letzten fünf Jahre6. Wie diese Luftfahrtschaden-Statistik zeigt, sind Kollisionen, Abstürze und vergleichbare Luftfahrtunglücke wertmäßig für über die Hälfte der Gesamtschäden (59 %) und zahlenmäßig für mehr als ein Viertel (27 %) aller Ansprüche verantwortlich. Solche Ereignisse schließen nicht nur größere Abstürze ein, sondern auch Fälle harter Landungen, Vogelschlag und Unglücke bei Start oder Landung, wie ein zu frühes oder zu spätes Aufsetzen (wofür die durchschnittliche Schadenhöhe sich aktuell auf nahezu 1,4 Mio. EUR [1,6 Mio. USD] beläuft)7.

Zusätzlich zu den gestiegenen Reparaturkosten beobachten Versicherer auch mehr Kleinschäden. Die rapide Zunahme der Flugreisen – die Zahl der Passagiere wird sich Schätzungen zufolge bis 2036 verdoppeln und 7,8 Mrd. erreichen5 – führt vermehrt zu einer Überlastung des Luftraums und an den Flughäfen.

„Mit dem Zuwachs im Luftverkehr kommt es mittlerweile zum Problem von Überlastung auf und im Bereich von Flughäfen“, erläutert Smith. „In vielen Fällen hat die Flughafeninfrastruktur mit dem raschen Anstieg der Passagier- und Flugzeugzahlen nicht Schritt halten können. Durch mehr Flugzeuge am Boden sind die Wartungsbereiche und Vorfelder zunehmend überfüllt, was die Zahl der Kollisionen mit anderen Maschinen oder Bodenabfertigern erhöht.“

Die von der AGCS durchgeführte Analyse von 523 Schadenereignissen an 14 deutschen Flughäfen im vergangenen Jahr zeigt, dass Schäden an Fahrzeugen auf dem Vorfeld die Hauptursache für Versicherungsfälle sind. Über die Hälfte dieser Unfälle entstehen durch Kollisionen mit Schleppern, Gepäckwagen, Hubarbeitsbühnen oder Waschanlagen.

So hat beispielsweise die Einführung einer neuen Form von Abschleppwagen (der am vorderen Fahrwerk eines Flugzeugs ansetzt) zu etlichen Großschäden geführt. Einige dieser Abschleppwagen haben während des Betriebs Feuer gefangen und so den Flieger beschädigt. Im Falle einer Boeing 777 entstand sogar ein Totalschaden.

Flugzeuge und Luftfahrtgesellschaften nutzen verstärkt neue Technologien – angefangen vom Flugzeug selbst bis hin zum Ticketverkauf. Heutzutage sendet eine A350 während eines 6-stündigen Flugs ungefähr 400.000 Computermeldungen an die Fluglotsen. Das sind 60 % mehr als bei der älteren A380.

Die Technologie für unbemannte Verkehrsflugzeuge existiert bereits, aber die praktische Nutzung dürfte noch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Dennoch ist davon auszugehen, dass Flugzeuge angesichts des Bemühens, die Kosten zu senken und des prognostizierten Mangels an Piloten zunehmend automatisiert werden. Boeing zufolge müsste die Branche in den kommenden 20 Jahren mehr als 600.000 Piloten einstellen. Nach Aussage von Smith hätten Flüge mit nur einer Person im Cockpit und Unterstützung am Boden Auswirkungen auf die erforderlichen Kenntnisse und Schulungen der Besatzung sowie auf deren Verhalten bei ungünstigen Bedingungen.

Zudem sieht sich die Branche der Bedrohung durch technologie- oder cyberbedingte Schäden ausgesetzt, seien Sachschäden an Flugzeugen oder Betriebsunterbrechung z. B. aufgrund von IT-Systemausfall. Cyberrisiken sind gemäß dem achten jährlichen Allianz Risk Barometer, bei dem Risikoexperten der Branche befragt werden, die Hauptsorge des Luftfahrsektors im Jahre 2019 (siehe Grafik). Bisher kam es noch zu keinerlei größeren Luftfahrtschäden durch Cyberereignisse, wenngleich die Versicherer einige indirekt darauf zurückgehende Ansprüche entschädigt haben. So hat die AGCS beispielsweise einen Haftpflichtschaden reguliert, bei dem Passagiere Schadenersatz für Flugstornierungen durch Versagen des Ticketverkaufssystems verlangten.

Während unbemannte Flugzeuge Zukunftsmusik sind, entwickelt sich autonomes Fliegen zu einem Bereich mit zunehmender Bedeutung innerhalb der Luftfahrtschäden.  Die AGCS hat weltweit immer mehr Drohnenversicherungen im Bestand und beobachtet auch einen entsprechenden Anstieg der Schäden. Da die Drohnennutzung immer mehr Bereiche erfasst, nähmen solche Schäden an Relevanz zu, erklärt Smith.

Vor zehn Jahren endete der Flug Nr. 1549 der US Airways auf dem Weg vom Flughafen LaGuardia in New York nach Charlotte in North Carolina nur sieben Minuten nach dem Start im Hudson River. Alle 150 Passagier und fünf Besatzmitglieder überlebten. Unfallursache war der Zusammenstoß mit einem Schwarm Kanadagänse, die beide Triebwerke schwer beschädigten. Das sogenannte „Wunder auf dem Hudson“ lieferte später den Stoff für einen Film mit Tom Hanks.

Auch 10 Jahre danach stellt Vogelschlag noch ein erhebliches Problem für die Flugsicherung dar und führt zu Unglücken. Nach einer Analyse der AGCS von Versicherungsschäden in der Luftfahrt war Vogelschlag mit über 300 Mio. EUR in der Zeit von Juli 2014 und 2018 eine maßgebliche Ursache. 956 diesbezügliche Ansprüche gingen währenddessen bei den Versicherern ein. Die durchschnittlichen Schadenkosten betrugen 322.065 EUR, wobei einzelne Ansprüche 15 Mio. übersteigen können. Die meisten Unglücke ereignen sich, wenn Vögel gegen die Frontscheibe prallen oder in Triebwerke gelangen.

Schätzungen zufolge fordert der Vogelschlag in den USA sogar einen finanziellen Tribut von 400 Mio. USD jährlich bzw. 1,2 Mrd. USD weltweit, obwohl sich belastbare Zahlen nur schwer auftreiben lassen. Man bemühte sich, den Vogelschlag bei Abflug und Landung an Flughäfen durch entsprechendes Management und Kontrollen weiter zu verringern. Zahlreiche Airports haben sog. Wildlife-Management-Programme eingeführt und beschäftigen Wildtierbiologen.  Andere Herangehensweisen sehen den Einsatz von Tönen, Licht, Pyrotechnik, funkgesteuerten Flugzeugen, Locktieren, Laser, Hunden und Vogelfangmaßnahmen mit anschließender Umsiedlung vor. Die Zunahme der Vogelschwarmpopulationen, verbunden mit dem Anstieg der gewerblichen Luftfahrt, werden auch künftig eine Herausforderung darstellen.

Lesen Sie diesen Artikel im Global Risk Dialogue. Der Global Risk Dialogue ist das Magazin der Allianz Global Corporate & Specialty mit Nachrichten und Expertenwissen aus der Welt der Unternehmensrisiken.

[1] IATA, Veröffentlichung der IATA zur Flugsicherheit im Jahre 2017 vom 22. Februar 2018

[2] Aviation Safety Network, Statistik zu Flugzeugunglücken 2018

[3] JLT, Plane Talking Q4 2018

[4] Boeing website, 787 Dreamliner by design, advanced composite use

[5]Prognose der IATA vom 24. Oktober 2018 geht für 2036 von nahezu einer Verdopplung der Flugpassagiere auf 7,8 Mrd. aus

[6] AGCS, Global Claims Review – The Top Causes of Corporate Insurance Losses. Die Analyse von 471.326 Versicherungsansprüchen in Höhe von 58,1 Mrd. EUR (66,5 Mrd. USD) zeigt Daten der AGCS und anderer Versicherer.

[7] AGCS. Basierend auf 404 Versicherungsschäden in der Luftfahrt, die sich auf Start- und Landebahnen in der Zeit von Juli 2014 bis Juli 2018 ereigneten

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