Frage (F): Der Tag des Seefahrers ist eine Gelegenheit, die Öffentlichkeit über die Lage der modernen Seeleute informieren. Vor Ihren jeweiligen Aufgaben bei AGCS waren Sie viele Jahre als Kapitäne großer Schiffe auf See. Was waren die größten Herausforderungen, mit denen Sie konfrontiert waren?
Biographie: Kapitän Rahul Khanna
Bevor er 2011 zu AGCS kam, war Rahul Khanna 14 Jahre lang als Kapitän auf Öltankern, Massengutfrachtern und OBO (Erz-Massengut-Öl)-Frachtern zur See unterwegs. Vier Jahre lang war er auch für Unfalluntersuchungen, Gutachten und Risikobewertungen von großen Offshore-Öl- und Gasprojekten verantwortlich.
Heute ist er Global Head of Marine Risk Consulting bei AGCS mit Sitz in London.
F: Covid-Beschränkungen, Ukraine-Krieg, überfüllte Häfen – die Lage in der Schifffahrtsbranche ist angespannt. Wie sehr unterscheidet sich die Rolle der Seeleute heute von der zu Ihrer Zeit auf See?
NC: Der technologische Fortschritt und die zunehmende Automatisierung in den Frachtterminals haben die Abfertigungszeiten für Schiffe im Vergleich zu meiner Zeit verkürzt. Kürzere Aufenthalte im Hafen setzen die Besatzung unter Druck. Landurlaub war früher eine große Attraktion für Seeleute, aber er wurde im Laufe der Jahre aufgrund verschärfter Einwanderungsgesetze oder Sicherheitsbedenken eingeschränkt.
Die Digitalisierung hat die Sicherheit und Effizienz verbessert, aber die neuen Technologien erfordern eine schnellere Weiterbildung der Seeleute als bisher. Schiffe operieren heute in einem verschärften regulatorischen Umfeld und in einer zunehmend instabilen geopolitischen Landschaft.
RK: Seeleute waren schon immer Kollateralschäden in Konflikten, und das hat sich leider auch in der Ukraine-Krise nicht geändert. Eine Sache, die sich geändert hat, ist die Art und Weise, wie Piraten operieren. Im Golf von Aden bestand das Piratenmodell darin, das Schiff und die Seeleute zu entführen und Lösegeld zu verlangen. In anderen Teilen der Welt geht es inzwischen eher um bewaffnete Raubüberfälle, Plünderungen und das Abzapfen von Fracht. Wir sind besorgt, dass dieses letztere Modell immer häufiger und gewalttätiger wird.
Positiv ist, dass die Einführung von Internet und Breitband auf Schiffen es den Seeleuten erleichtert, mit ihren Angehörigen in Kontakt zu bleiben. Das ist eine große Veränderung gegenüber der Zeit, als ich auf See war. Einmal saß ich wegen Staus und schlechten Wetters vor einem Hafen in Argentinien fest. Ich war verlobt und hatte keine Möglichkeit, meine Verlobte zu kontaktieren. Schließlich ging ich auf einem Lastkahn an Land und konnte ihr versichern, dass ich keine kalten Füße bekommen hatte! Es dauerte 15 Tage, bis ich endlich in Delhi war, aber ich kam vier Tage vor der Hochzeit nach Hause und wir sind seit 25 Jahren verheiratet.
Biographie: Kapitän Nitin Chopra
Nitin Chopra verfügt über mehr als 22 Jahre Erfahrung in der Schifffahrtsbranche, davon 18 Jahre auf Massengutfrachtern, Tankern und sehr großen Rohöltankern (VLCCs) sowie vier Jahre als Sicherheits- und Qualitätsbeauftragter für eine Flotte von Öl- und Chemietankern.
Heute ist er Senior Marine Risk Consultant bei AGCS mit Sitz in Singapur.
F: Der Beitrag der Schifffahrtsindustrie und der Seeleute zur Weltwirtschaft ist enorm. Die Branche hat jedoch mit einem Mangel an Talenten zu kämpfen, tausende Stellen sind nicht besetzt. Was kann getan werden, um den Beruf attraktiver zu machen, und wie können die Arbeitsbedingungen verbessert werden?
RK: Was während der Covid-Krise geschah, als die Besatzungen monatelang an Bord der Schiffe festsaßen, hat die Wahrnehmung der Schifffahrt nachhaltig beeinträchtigt. Wie Nitin sagt, drängen einige Initiativen auf einen Wandel, aber die Tatsache, dass sich die Seeleute im Vergleich zu denen an Land oft wie Arbeitskräfte zweiter Wahl fühlen, muss von den Reedern und den Interessengruppen angegangen werden.
Die Besatzungsquartiere sind in dem Maße geschrumpft, wie die Schiffseigner versucht haben, den Frachtraum zu maximieren. Daher muss der vorhandene Raum höheren Standards entsprechen und der physischen und psychischen Gesundheit der Seeleute Rechnung tragen. Wohlbefinden und umgekehrt psychischer Stress stehen in direktem Zusammenhang mit der Sicherheit an Bord von Schiffen, da menschliches Versagen eine der Hauptursachen für Unfälle ist. Ein angemessener Landgang ist ebenfalls wichtig für die Regeneration der Seeleute – die Welt zu sehen ist ein Höhepunkt des Lebens auf See.
Wir müssen die jungen Männer und Frauen, die sich für die Seefahrt interessieren, auf die positiven Aspekte hinweisen: Es ist eine steile Lernkurve, auf der man sich großartige Fähigkeiten für eine spätere Karriere aneignen kann, die Bezahlung ist ordentlich und der Beruf führt einen um die ganze Welt.
NC: Meine Zeit auf See war lohnend und bereichernd. Der Beruf ist unübertroffen, wenn es um die Entwicklung der Persönlichkeit geht. Der Umgang mit Unwägbarkeiten und Krisen fördert die persönliche Entwickung – Resilienz, emotionale Intelligenz und Selbstmanagement sind wesentliche Eigenschaften für eine effektive Führungskraft. Angesichts des Nachholbedarfs an Waren nach der Pandemie verzeichnen die Schifffahrtsunternehmen Rekordgewinne. Ist es da nicht angemessen, von ihnen zu erwarten, dass sie mehr Ressourcen für das Wohlergehen ihrer Besatzungen bereitstellen?
Ich erwarte bessere Zeiten für diejenigen, die sich entscheiden, ihre Karriere an Bord zu beginnen oder fortzusetzen und damit die nächste Generation von Seeleuten für das Abenteuer See zu begeistern.
Internationale Tag des Seefahrers
Bilder von Nitin Chopra
Bilder von Rahul Khanna
Referenzen
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"Maritime trends to watch"
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Tuesday, July 5, 2022
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